Geburtsschäden

Der kindliche Hirnschaden: Folge von Behandlungsfehlern oder schicksalhaft?

Diese Frage steht häufig am Beginn auch einer medizinjuristischen Auseinandersetzung

Der sog. perinatal erworbene Hirnschaden bzw. Cerebralschaden oder auch die hypoxisch ischämischen Enzephalopathie (HIE) sind die häufigsten bzw. gebräuchlichsten Umschreibungen der schwerwiegenden Folgen eines Geburtsschadenfalles.

Der perinatale Hirnschaden beschreibt vor allem  den Zeitraum der Schädigung des Kindes intrauterin bzw. des Neugeborenen. Es handelt sich um die Zeitspanne von ca. einem Tag vor der Geburt bis wenige Tage nach der Geburt. Nicht  selten wirken aber auch Schädigungsmechanismen schon im Mutterleib geraume Zeit vor der Geburt. Infolge unzureichender diagnostischer Abklärung bzw. unterlassener Einweisung der werdenden Mutter in ein Klinikum der adäquaten Versorgungsstufe,  bleiben gefährliche Krankheitszeichen unentdeckt und es kommt zur Geburt eines geschädigten Kindes, obwohl mitunter eine zielführende Behandlung möglich gewesen wäre.

Die periventrikuläre Leukomalazie (PVL) ist eine Erkrankung des unreifen Gehirns Frühgeborener (obwohl mitunter auch Reifgeborene betroffen sein können), welche als Folge einer ggf. auch nur vorübergehenden Sauerstoffmangelsituation (evtl. im CTG erkennbar) oder als Folge einer zytotoxischen Läsion, etwa im Gefolge eines infektiösen Prozesses, zu einer Verletzung der weißen Hirnsubstanz führt. Die betroffenen Kinder leider häufig aber auch typisch für diese konkrete Art neurologischer Schädigung beinbetone spastische Tetraparesen, bei zugleich erhaltenen intellektuellen und kognitiven Fähigkeiten.

Mutterschaftsrichtlinien

Die medizinische, geburtshilfliche  Versorgung schwangerer Frauen in Deutschland ist in den Mutterschaftsrichtlinien umfassend geregelt. Der dort aufgeführte Risikokatalog, der nach 52 Faktoren zwischen anamnestischen und befundeten Risiken differenziert, verpflichtet GynäkologInnen zur umfassenden Beratung, Behandlung und vor allem dazu, Schwangere ggf. rechtzeitig in ein Perinatalzentrum zu überweisen.

Für die Betreuung und Versorgung Schwangere nicht etabliert und als besonders haftungsträchtig haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten solche Einrichtungen erwiesen, bei denen von vornherein mit einem abgesenkten medizinischem Standard gerechnet werden muss, etwa in sog. Belegklinken, in Geburtshäusern oder auch im Rahmen von Hausgeburten oder Praxisgeburten.

Aus bestimmten Schwangerschaftsrisiken können sich Risiken unter der Geburt entwickeln, so etwa bei

  • Diabetes mellitus,
  • hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen (Hochdruckerkrankungen),
  • Beckenendlage,
  • Mehrlingsschwangerschaft,
  • drohender Frühgeburt,
  • intrauteriner Wachstumsrestriktion,
  • Amnioninfektionssyndrom (AIS)
  • Präeklampsie,
  • Zustand nach Kaiserschnitt bei früheren Geburten,
  • Zustand nach Schulterdystokie bei früheren Geburten.

Die Schwangere ist dann in jedem individuellen Einzelfall umfassend über ihr spezifisches Risikoprofil aufzuklären und ggf. auch hinsichtlich der Wahl des richtigen Entbindungsortes, also der Geburtsklinik.

Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)

Neben den Mutterschaftsrichtlinien existieren auch Leitlinien, die ebenfalls die Überwachung werdender Mütter regeln. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hat für die allermeisten geburtshilflichen Situationen Handlungskorridore eröffnet, welche als Leitlinien quasi-verbindliche Vorgaben für Gynäkologinnen und Gynäkologen aber auch für Geburtshelfer und Geburtshelferinnen machen und in den letzten Jahren durch die neue DGGG-Leitlinie zur vaginalen Geburt leider den Versuch unternommen, diese Handlungskorridore sehr auszuweiten.

Die von mir seit 2002 betreuten Fälle resultieren fast regelmäßig aus einer Nichteinhaltung der Richt- und Leitlinien. Hieraus resultieren

Geburtshilfliche Problemfelder in rechtlicher Hinsicht

Aus Sicht der PatientInnen müssen drei Dinge bewiesen werden:

1.    Es ist/sind einer oder mehrere Behandlungs- oder Aufklärungsfehler unterlaufen

2.    Mutter und/oder Kind haben einen Gesundheitsschaden davongetragen.

3.    Es besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem/den Fehler(n) und dem Gesundheitsschaden (Kausalzusammenhang).

Die mitunter sehr wichtige Beweislastumkehr resultiert im Arzthaftungsrecht aus dem Vorliegen grober Behandlungsfehler oder im Falle der sog. unterlassenen Befunderhebung, niemals aber als Folge eines Aufklärungsfehlers.

Aufklärungsfehler

Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Patientin, konkret also die Gebärende, über Behandlungsalternativen aufzuklären, was in der Geburtshilfe von erheblicher Bedeutung ist. In der geburtshilflichen Praxis spielt die Sectio, also die Geburt mittels Kaiserschnitt, als Alternative zur vaginalen Entbindung („natürliche Geburt“) die größte Rolle. Eine Aufklärung über eine Schnittentbindung als Behandlungsalternative schulden die Geburtshelfer, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution der Mutter in der konkreten Entbindungssituation eine medizinische verantwortbare Alternative darstellt ( BGH VersR 1993, 703). Dies kann zum Beispiel bei einer im CTG erkannten Beeinträchtigung des Fetus oder auch bei dem Verdacht auf ein relatives Missverhältnis der kindlichen Proportionen zum Geburtskanal der Fall sein.

Zu beachten ist, dass die Aufklärung der werdenden Mutter stets zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden muss, zu welchem sie sich noch in einem Zustand befindet, in welchem die Situation überhaupt mit ihr besprochen werden kann (vorgezogene Aufklärung). Sobald sich also deutliche Anzeichen für ein bestehendes oder drohendes Gefahrenszenario bei Festhalten am vaginalen Entbindungswege zeigen, muss das Gespräch mit der Mutter über alternative Entbindungsmöglichkeiten geführt werden. Bei diesen Alternativen kann es sich sowohl um eine Sectio, als auch um eine vaginal operative Entbindung, also mittels Saugglocke oder Geburtszange handeln.

Sehr häufig wird allerdings eine solche Situation oder auch Risikokonstellation von Geburtshelfern nicht gesehen, nicht realisiert oder schlicht und einfach verworfen, wie ich aus meiner forensischen Erfahrung zu berichten weiß. Die von mir vertretenen Mandantinnen, Mütter, berichten sehr häufig über den Umstand, dass Sie unter der Geburt von Arzt oder Hebamme nicht informiert oder überhaupt einbezogen wurden und beklagen eine Bevormundung und Instrumentalisierung durch das behandelnde Personal.

Verstößt die Behandlungsseite gegen ihre Aufklärungspflicht und resultiert hieraus ein Schaden des Kindes, steht die Haftung dem Grunde nach meistens fest.

Befunderhebungsfehler, also Unterlassung der Erhebung gebotener Sicherungs- und Kontrollbefunde

Unterbleibt die Abklärung oder Erhebung medizinisch gebotener Befunde, etwa in Form eines gebotenen aber nicht geschriebenen CTGs oder einer unterlassenen weiterführenden sonographischen Gewichtsschätzung bei begründetem Verdacht auf eine sog. Fetale Makrosomie (hohes Kindsgewicht), spricht man von der Fallgruppe der sog. unterlassenen Befunderhebung, die aufgrund der Rechtsfolge einer Beweislastumkehr weitreichende Folgen zulasten der Behandlungsseite haben kann. In der gerichtlichen Praxis wird nach Erhebung des Vorwurfs unterlassener Befunderhebung regelmäßig die Folgefrage nach einem ggf. zumindest hypothetisch erhobenen Befund gestellt. Wäre ein solcher Befund mit überwiegender Wahrscheinlichkeit reaktionspflichtig ausgefallen und wäre die dann hypothetische, also gedachte Nichtreaktion auf diesen Befund grob fehlerhaft, kommt es zu Beweislastumkehr.

Wäre also im Bespielfall einer unterlassenen sonografischen Gewichtskontrolle ein Schätzgewicht des Kindes von mind. 4.500 g ermittelt worden, hätte dies zwingend eine Aufklärung der Mutter über die Alternative zur Sectio zur Folge haben müssen. Deren Unterlassung (= Nichtreaktion) wäre dann mitunter als grober Fehler geeignet, der Behandlungsseite die Beweislast aufzubürden.

Übernahmeverschulden

Die DGGG hat Empfehlungen zur Zusammenarbeit zwischen ärztlichem und nichtärztlichem Personal in der Geburtshilfe schon vor vielen Jahren verfasst. Diese enthalten auch sog. Facharztindikationen, also medizinische Situationen, die das Eingreifen eines Arztes oder einer Ärztin erforderlich machen.

Ein Übernahmeverschulden liegt vor, wenn Behandler oder Klinik eine Behandlung übernehmen, für welche sie eigentlich fachlich, organisatorisch oder personell nicht ausgelegt und folglich überfordert sind. In der Geburtshilfe begegnet man dieser Fallkonstellation vor allem, wenn es in Geburtshäusern, in der Hebammenversorgung oder in Regel- und Grundkliniken versäumt wurde, rechtzeitig eine Überweisung der Schwangeren in die adäquate Versorgungsstufe zu veranlassen.

Anfängerbehandlung

Bei dem fehlerhaften Einsatz eines Berufsanfängers kann es sich sowohl um die Tätigkeit eines AiPler, als auch einer unerfahrenen Assistenzärztin, aber auch des schon weitergebildeten Assistenzarztes handeln, der aber noch nicht die sog. materielle Facharztqualifikation nachgewiesen hat.

Des Weiteren ist es eine gerichtlich sehr bekannte Konstellation, dass im Nachtdienst und an Feiertagen und Wochenenden die Fachärzte und Fachärztinnen keinen Dienst schieben und stattdessen das unerfahrenere Assistenzpersonal hierfür herangezogen werden. Die Empfehlungen der DGGG zur Zusammenarbeit von Geburtshelfern, also Ärzten und Hebammen, regeln klare Facharztindikationslagen, also medizinischen Situationen in denen die Präsenz eines Facharztes oder einer Fachärztin hergestellt werden muss. Versäumnisse in diesem Bereich kommen sehr häufig vor.

Insbesondere im Bereich der sog. horizontalen Arbeitsteilung, wo also Ärzte und Hebammen nacheinander oder simultan handeln, kommt es häufig zu Informationsdefiziten. Insbesondere in der Zeitschiene der Behandlung durch  

  • niedergelassenen GynäkologInnen
  • Einrichtungen der Pränataldiagnostik
  • ggf. involvierter Beleghebamme
  • der Geburtsklinik
  • Anästhesiologie
  • Neonatologie
  • Kinderklinik   

kann es zu fatalen Informationsverlusten mit fatalen Folgen kommen, wenn es um die Führung und korrekte Beratung  der Schwangeren geht.

Problemfelder in medizinischer Hinsicht

Nachfolgend werden einige besonders sensible Behandlungsbereiche aus der Gynäkologie und Geburtshilfe sowie aus der Neonatologie aufgezeigt, welche Gerichte, Sachverstände und Anwälte auf beiden Seiten immer wieder im Rahmen von Geburtsschadensprozessen beschäftigen.

Pränataldiagnostik

Unterlassene, falsche oder unvollständige Beratung der Mutter vor und während der Schwangerschaft, etwa im Kontext diagnostischer Untersuchungen im Hinblick auf  

  • mögliche Miss- oder Fehlbildungen beim Kind
  • Sterilität und Infertilität der Eltern,
  • einen möglichen Schwangerschaftsabbruch,
  • das  Bestehen einer Schwangerschaft.

Intrauterine Asphyxie bzw. kindlicher Sauerstoffmangel

Kindliche Notfälle unter der Geburt entstehen in erster Linie durch Störungen der Sauerstoffversorgung. Akute fetale Hypoxien können plazentare, mütterliche oder fetale Ursachen haben.

Eine akute oder latent progrediente Plazentainsuffizienz oder Plazentaablösung mit der Folge einer akuten oder eben schleichenden Mangelversorgung des Feten findet sich bei der vorzeitigen Lösung der Plazenta und bei Nabelschnurkompression (auch bei der Nabelschnurumschlingung). Eine latente chronische Plazentainsuffizienz oder auch –ablösung mit eingeschränkter Kompensationsfähigkeit kann unter den Geburtswehen akut werden und eine ggf. auch tödliche intrauterine Asphyxie verursachen.

Als fetale Ursachen einer intrauterinen Asphyxie sind beispielhaft Fehlbildung, intrauterine Infektionen und Anämien zu nennen.

Unabhängig davon, worin die Ursache der O2-Mangelversorgung begründet ist, reagiert der Fetus darauf in aller Regel mit einem Mekoniumabgang, einer Beeinträchtigung seiner Herzfunktion, die wiederum im Kardiotokogramm (CTG) bei korrekter Ableitung mit allergrößter Wahrscheinlichkeit angezeigt wird. Auch eine korrekt durchgeführte Mikroblutuntersuchung (MBU) bzw. Blutgasanalyse (BGA), die zum Standardspektrum geburtshilflichen Handelns gehört, zeigt mit hoher Sicherheit eine pathologische Veränderung des Säure-Basen-Status im kindlichen Blut an. Auch eine Nichtreaktion auf einen auffälligen BGA bzw. MBU-Befund stellt eine erhebliche Standardunterschreitung und folglich einen schwerwiegenden Behandlungsfehler dar.

Die Nicht- oder Falschreaktion auf ein pathologisches CTG wird einheitlich als schwerwiegender Behandlungsfehler zu werten sein.

Vorzeitiger Blasensprung

Der vorzeitige Blasensprung (VBS) beinhaltet immer die Gefahr, dass sich die Schwerkraftverhältnisse im Mutterleib zulasten des Fetus verändern und hierbei evtl. auch eine Asphyxie bedingt. Darüber hinaus ist mit dem VBS das Risiko verbunden, dass es insbesondere mit zunehmendem Zeitablauf zu aufkeimenden Infektionen kommt, welche das Neugeborene je nach Reifestatus gefährden können.

Drohende Frühgeburt

Die drohende Frühgeburt erfordert schon in einem frühzeitigen Schwangerschaftsstadium eine besonders engmaschige Führung und Überwachung der werdenden Mutter. Insbesondere bei prädisponierenden Faktoren wie Alter der Mutter, vorzeitiger Blasensprung, Mehrlingsschwangerschaft, uterine Fehlbildungen, Zervixinsuffizienz,  Infektionen, EPH-Gestose, Plazentainsuffizienz, Intoxikationen, Sozioökonomische Faktoren, Mangelernährung ist eine intensivierten Schwangerschaftsbetreuung unbedingt erforderlich und die Verlängerung der Tragzeit und damit das Aufschieben der Frühgeburtsbestrebungen häufig oberste Maxime ärztlichen Handelns.

In Abhängigkeit von konkreten Krankheitsbildern oder Risikofaktoren kann auch das Erkennen des möglichst perfekten Entbindungszeitpunktes oberstes Handlungsziel sein, so dass ggf. die Verlängerung der Tragzeit kontraindiziert wäre. Man sprich dann auch vom sog. `Balancing of risks´,  also dem Abwägen der intrauterinen Risikofaktoren gegenüber dem Risiko der Frühgeburt und der mit ihr vergesellschafteten möglichen Gesundheitsschäden eines besonders verletzlichen Frühchens. Sicherlich gehören derartige Schwangerschaftssituation zu den komplexesten und anspruchsvollsten medizinischen Aufgaben, die in der modernen Geburtsmedizin bewältigt werden können. Unabdingbar ist dabei immer eine umfassende Information und Einbeziehung der werdenden Mutter, um die optimale Behandlungsstrategie auszuarbeiten.

Zu den haftungsrelevantesten medizinischen Risiken, welche in eine möglicherweise vermeidbare Frühgeburt führen gehören Zervixinsuffizienz, Zwillingsschwangerschaft, Gestationsdiabetes, EPH-Gestose, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUGR), Amnioninfektionssyndrom (AIS), Übertragung, Beckenendlage und Zustand nach Kaiserschnitt

Notsectio/eilige Sectio

Die Notsectio ist eine geburtshilfliche Situation und Indikationslage, die fast ausnahmslos aus der Erwägung resultiert, dass sich der Fetus in einer akuten intrauterinen Gefährdungssituation befindet, z.B. weil das CTG pathologisch wurde oder weil eine starke vaginale Blutung bei der Mutter aufgetreten ist. Der Notkaiserschnitt unterliegt einem klar reglementierten Handlungsablauf der darauf abzielt, die Zeit zwischen der Entscheidung zum Kaiserschnitt und der Entwicklung des Kindes (E-E-Zeit) möglichst kurz zu halten. Die Vorgabe der DGGG zielt auf eine E-E-Zeit von 10, längstens und abhängig von der Klinikstruktur von 20 Minuten aus.

Die Vorstufe zur Notsectio ist die sog. eilige Sectio, bei welcher die vermutete oder befundete Gefährdungslage noch einen größeren zeitlichen Spielraum erlaubt. Die Vorgaben des guten klinischen Standards (good clinical practice) gehen hier von einem Zeitintervall in Höhe von 30 Minuten bis zur Entwicklung des Kindes aus.

Schulterdystokie und Plexusparese

Die Schulterdystokie als Folge einer gestörten Geburtsmechanik ist eines der prominentesten gerichtlichen  Fallbeispiele und beschäftigt die Gerichte mit steter Regelmäßigkeit. Als Patientenvertreter mit der Schwerpunktrichtung in der Geburtshilfe kommt man nicht um folgende Feststellung umhin:  

Alle Geburtshelfer reden über die Schulterdystokie aber keiner weiß so recht, wovon er redet und insbesondere: niemand redet mit der Mutter!

Bei der Schulterdystokie kommt es zu einer gestörten Entwicklung des Kindes nach der Geburt des Kopfes, welche fast regelmäßig mit der irreversibeln Lähmung des sog. Plexus-Nervengeflechts (zwischen Hals und Schulter einer der oberen Extremitäten) verbunden ist, weil sich einer der kindlichen Schultern im Geburtskanal verhakt hat.

Da die Schulterdystokie mitunter von spezifischen anamnestisch fassbaren Faktoren, wie etwa einem (sonografisch) geschätzt makrosomen Kind oder dem Gestationsdiabetes abhängt, ist sie mitunter kein überraschendes Ereignis und die Mutter ggf. schon frühzeitig über ihr spezifisches Risiko diesbzgl. aufzuklären. Regelhaft zieht eine korrekt aufgeklärte Mutter die Kaiserschnittentbindung vor.

Kommt es gleichwohl zur vaginalen Entbindung mit der Folge einer Schulterdystokie, existiert ein klares abgestuftes Behandlungskonzept, welches bei korrekter Anwendung gut geeignet ist, das geburtshilfliche Hindernis atraumatisch und damit folgenlos zu überwinden. Die prominentesten Manöver sind:  McRoberts, suprasymphysärer Druck, Woods, Rubin, hintere Armlösung, Gaskin, Zavanelli. Sämtliche dieser Manöver sind auf die Vermeidung von Zug-, also Traktionskräften ausgerichtet, weil keinesfalls Zug am kindlichen Kopf zur Überwindung der Schulterdystokie angewendet werden darf.

Geburtshelfern gelingt es leider häufig nicht, eine Schulterdystokie atraumatisch zu bewältigen. Kommt es beim Kind zu irreversiblen Plexuslähmungen, liegen häufig und nachweislich sog. Dehnungs-, Zerreißungs- oder Ausrissverletzungen des Nervengeflechts C5 – Th1 vor. Das Ausmaß der Verletzung kann häufig im Rahmen eines indizierten operativen Eingriffs der Plexuslähmung festgestellt und dokumentiert werden. Ausrissverletzungen bzw. Nervenrupturen und sog. Konglomeratneurome indizieren häufig, dass ein kontraindizierter Zug auf die Nerven ausgeübt wurde, wo keiner stattfinden durfte. Häufig wird von Geburtshelfern die mit dem Zwischenfall einer Schulterdystokie überfordert sind am Kopf gezerrt, gezogen und gedreht, bis es zum irreparablen Nervenschaden beim Kind kommt.

Neugeborenennotfallmedizin/Neugeborenenreanimation

Kommt es zur Geburt eines schwerst geschädigten oder gefährdeten Kindes, aber auch wenn es zur Geburt eines zunächst kerngesunden Kindes kommt, welches dann in den Stunden nach der Geburt noch verfällt, wird eine intensivierte Neugeborenenversorgung und ggf. auch Reanimation erforderlich. Auch bei der (geplanten oder ungeplanten) Geburt eines Frühchens wird regelhaft eine Neugeborenenintensivversorgung erforderlich.

Auch die Wiederbelebung eines deprimierten Neugeborenen (regelmäßig zu beurteilen anhand der APGAR-Werte, Puls-, Atmungs- und Herzfrequenz sowie anhand der Blutgasanalyse und im weiteren Verlauf anhand von EEG-Befunden, Schädelsonografien und ggf. MRT-Befunden) erfordert die Umsetzung eines etablierten und in einschlägigen Leitlinien niedergelegten Behandlungsalgorhythmus. Besondere Bedeutung kommt dabei der Fertigung eines nachvollziehbaren Reanimationsprotokolls zu.

Überbeatmung, Hypokapnie

Sollten Neugeborene – insbesondere Frühchen – nach der Entbindung eine sog. respiratorische Anpassungsstörung aufweisen, müssen Sie in geeigneten Perinatalzentren ggf. dauerbeatmet werden. Hierbei kommt es fast regelhaft zu Überbeatmungskomplikationen (Hyperventilation mit der Folge der Hypokapnie) in der Form von gefährlichen CO2-Absenkungen, die mit einer Minderdurchblutung des unreifen Gehirns einhergehen können und in der weitern Folge die Ursache hypoxisch ischämischer Verletzungen des Gehirns sein können.