Arzthaftung

Voraussetzungen für den Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld

Die Patientenseite muss im Arzthaftungsrecht drei Dinge beweisen, um Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erfolgreich durchzusetzen, im Einzelnen:

1.  das Vorliegen von medizinischem Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehler Gesundheitsschaden beim Patienten durch Ärzte, Hebammen, Pflegepersonal usw.

2.  der oder die Fehler hat einen seelischen und/oder körperlichen Schaden ausgelöst.

3.  der Gesundheitsschaden muss durch den Behandlungsfehler bzw. Aufklärungsfehler (mit)verursacht worden sein, es muss also eine Ursächlichkeit (Kausalität) vorliegen.   

Einfache Behandlungsfehler, grobe Behandlungsfehler und Befunderhebungsfehler

Können einer oder mehrere „einfache“ Behandlungsfehler“ nachgewiesen werden, muss die Patientenseite den Nachweis erbringen, dass der/die Behandlungsfehler (z.B. Befunderhebungsfehler, oder Diagnosefehler) zu den beklagten Gesundheitsschäden geführt hat (Kausalität). Dasselbe Beweismaß gilt auch beim sog. Aufklärungsfehler also, wenn Sie als Patient nicht korrekt über den Eingriff oder die möglichen Folgen des Eingriffs ggf. auch über Alternativen zum Eingriff aufgeklärt wurden.

Die Kausalität bereitet mitunter dann Probleme, wenn schon Vorschäden, Grunderkrankungen oder nicht eindeutige Ursachenzusammenhänge vorliegen.

Gelingt allerdings der Nachweis eines “groben Behandlungsfehlers“ (§ 630 h Abs. 5 S. 1 BGB), führt dies regelmäßig zu einer sogenannten Beweislastumkehr. Das bedeutet, dass nunmehr von der Patientenseite „nur“ noch der Nachweis einer möglichen Mitverursachung des Fehlers am Schaden erbracht werden muss. Dieser Nachweis wird dann in aller Regel auch bei Vorschäden oder anderen möglichen Mitursachen nicht vereitelt. Die Behandlungsseite bzw. der Arzt oder das Krankenhaus müssen beweisen, dass auch bei richtigem ärztlichem Vorgehen dieselben Gesundheitsfolgen eingetreten wären.

Unter einem groben Behandlungsfehler versteht man einen solchen Fehler, der gegen elementare Behandlungsregeln verstößt und einem durchschnittlichen Behandler in der konkreten Situation schlechterdings nicht unterlaufen darf. In der gerichtlichen Praxis wird der Sachverständige häufig nach einem „groben Schnitzer“ oder danach gefragt, ob der Behandler in der Situation einen „abmahnungsrelevantem Bock geschossen hat“ oder auch danach, ob er als Sachverständiger in der Situation und angesichts des Fehlers „die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte“. Diese Definitionsvielfalt zeigt das Dilemma des groben Behandlungsfehlers in der gerichtlichen Praxis. Der grobe Fehler entscheidet allerdings nicht selten über das Schicksal einer Schadensersatzforderung, weshalb die möglichst präzise Erfassung der Schwere des Fehlervorwurfs besonders relevant ist.

Die gleiche Folge der Umkehr der Beweislast kann z.B. auch bei dem sog. Befunderhebungsfehler (§ 630 h Abs. 5 S. 2 BGB) eintreten, für welchen die Rechtsprechung besondere Voraussetzungen geschaffen hat, die allerdings in manchen Behandlungsbereichen geradezu prädestiniert sind, wie z.B. im Falle der unterlassenen CTG-Schreibung oder auch der unterlassenen Abklärung einer Schlaganfallsymptomatik oder transitorisch ischämischen Attacke.

Aufklärungsfehler

Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Patientin oder der Patient (z.B. die werdende Mutter), über Behandlungsalternativen aufzuklären, wenn mindestens gleichwertige solcher Alternativen in Betracht kommen. Dies mögen etwa ein konservatives Vorgehen oder eine medikamentöse Behandlung gegenüber einem operativen Eingriff sein. In der geburtshilflichen Praxis etwa spielt die Sectio, also die Geburt mittels Kaiserschnittes als Alternative zur vaginalen Entbindung („natürliche Geburt“) die größte Rolle. Eine Aufklärung über eine Schnittentbindung als Behandlungsalternative schulden die Geburtshelfer, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution der Mutter in der konkreten Entbindungssituation eine medizinische verantwortbare Alternative darstellt ( BGH VersR 1993, 703). Dies kann zum Beispiel bei einer im CTG erkannten Beeinträchtigung des Fetus oder auch bei dem Verdacht auf ein relatives Missverhältnis der kindlichen Proportionen zum Geburtskanal der Fall sein.

Zu beachten ist, dass die Aufklärung stets zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden muss, zu welchem sich die Patientenseite noch in einem Zustand befindet, in welchem die Situation überhaupt mit ihr besprochen werden kann (vorgezogene Aufklärung).

  

Sobald sich also z.B. unter der Geburt deutliche Anzeichen für ein bestehendes oder drohendes Gefahrenszenario bei Festhalten am natürlichen Entbindungswege zeigen, muss das Gespräch mit der Mutter über alternative Entbindungsmöglichkeiten geführt werden. Bei diesen Alternativen kann es sich sowohl um eine Sectio, als auch um eine vaginal operative Entbindung, also mittels Saugglocke oder Geburtszange handeln.

Sehr häufig werden allerdings eine solche Situation oder auch Risikokonstellation von Geburtshelfern nicht gesehen, nicht realisiert oder schlicht und einfach verworfen, wie ich aus meiner forensischen Erfahrung zu berichten weiß. Die von mir vertretenen Mandantinnen, Mütter, berichten sehr häufig über den Umstand, dass Sie unter der Geburt von Arzt oder Hebamme nicht informiert oder überhaupt einbezogen wurden und beklagen eine Bevormundung und Instrumentalisierung durch das behandelnde Personal.

Dieses Szenario kann sich auch bei vorschnell indizierten Operationen oder der unterlassenen Abwägungen anderer Behandlungsverfahren z.B. in der Neurochirurgie, Orthopädie ergeben, wo mitunter multimodale Therapieansätze häufig eine Behandlungsalternative zum invasiven operativen Eingriff darstellen.  

Verstößt die Behandlungsseite gegen ihre Aufklärungspflicht und resultiert hieraus ein Schaden des Patienten oder auch des neugeborenen Kindes, steht die Haftung dem Grunde nach meistens fest.

Behandlungsfehler

Daneben resultiert die Haftung sehr häufig aus konkreten Behandlungsfehlern, also Standardunterschreitungen die sich aus der Anwendung falscher oder kontraindizierter therapeutischer Maßnahmen oder ggf. auch deren Unterlassung ableiten lassen. Die Spielarten von möglichen Behandlungsfehlern lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Diagnosefehler

Ein Diagnosefehler liegt in der Fehlinterpretation eines u.U. mehrdeutigen Befundes vor. Nicht jeder Irrtum in der Diagnose wird schon haftungsrechtlich zum Behandlungsfehler. Eindeutig ist das der Fall, wenn es sich um eine unvertretbare Fehlinterpretation erhobener Befunde handelt. In der Geburtshilfe hat sich hierbei zuletzt die vermeintliche Fehlinterpretation der mittels CTG erfassten kindlichen Herztöne als vermeintlicher Puls der Mutter zum gerne bemühten Gegenargument der Behandlungsseite etabliert.

Befunderhebungsfehler, also Unterlassung der Erhebung gebotener Sicherungs- und Kontrollbefunde

Unterbleibt die Abklärung oder Erhebung medizinisch gebotener Befunde, etwa in Form eines gebotenen aber nicht geschriebenen CTGs oder einer unterlassenen weiterführenden sonographischen Gewichtsschätzung bei begründetem Verdacht auf eine sog. Fetale Makrosomie (hohes Kindsgewicht), spricht man von der Fallgruppe der sog. unterlassenen Befunderhebung, die aufgrund der Rechtsfolge einer Beweislastumkehr weitreichende Folgen zulasten der Behandlungsseite haben kann. In der gerichtlichen Praxis wird nach Erhebung des Vorwurfs unterlassener Befunderhebung regelmäßig die Folgefrage nach der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des hypothetisch erhobenen Befundes gestellt. Wäre ein solcher Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit reaktionspflichtig ausgefallen und wäre Nichtreaktion auf diesen Befund grob fehlerhaft, kommt es auch zu einer Beweislastumkehr.

Therapiefehler

Solche Fehler in der konkreten Anwendung oder Unterlassung der jeweils richtigen bzw. falschen Therapie findet man vor allem in Form von Fehlmedikationen, Überdosierungen, Anwendung falscher therapeutischer Maßnahmen oder in der Durchführung nicht indizierter oder gar kontraindizierter Maßnahmen.

Übernahmeverschulden

Ein Übernahmeverschulden liegt vor, wenn die Behandlerseite oder eine Klinik eine Behandlung übernehmen, für welche sie eigentlich fachlich, organisatorisch oder personell nicht ausgelegt und folglich überfordert sind. In der Geburtshilfe begegnet man dieser Fallkonstellation vor allem, wenn es in Geburtshäusern, in der Hebammenversorgung oder in Regel- und Grundkliniken versäumt wurde, rechtzeitig eine Überweisung der Schwangeren in die adäquate Versorgungsstufe zu veranlassen. Das Übernahmeverschulden ist in der Geburtshilfe sehr relevant, da wir es zunehmend erleben, dass in diesem medizinischen Bereich in welchen sich zunehmend Tendenzen zur Regionalisierung und Spezialisierung herausbilden immer wieder Leistungserbringer auf den Plan treten, die weder die personelle noch logistische noch technischen Voraussetzung für die adäquate Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen vorhalten. Als prominentes Beispiel ist anzuführen, dass immer wieder kleinere Kliniken ohne Neugeborenenintensivplätze die Geburt eines frühgeborenen Kindes leiten ohne für die korrekte neonatologische Anschlussbehandlung Sorge tragen zu können. Hintergrund dieses Missstandes mag sein, dass die medizinische Versorgung eines Frühchens für eine Klinik sehr gewinnträchtig sein kann, obwohl die im Zivilprozess die beklagte Klinik niemals einräumen würde.

Anfängerbehandlung

Bei dem fehlerhaften Einsatz eines Berufsanfängers kann es sich sowohl um die Tätigkeit eines Arztes im Praktikum (AiP), als auch einer unerfahrenen Assistenzärztin, aber auch des schon weitergebildeten Assistenzarztes handeln, der aber noch nicht die sog. materielle Facharztqualifikation nachgewiesen hat.

Insbesondere in Ausbildungskliniken, also Universitätskliniken oder akademischen Lehrkrankenhäusern begegnen einem statistisch überproportional häufig sog. Anfängereingriffe. Ein solche liegt vor, wenn noch nicht hinreichend erfahrenes geburtshilfliches Personal mit der eigenverantwortlichen Betreuung z.B. von Risikoschwangeren befasst ist. Des Weiteren ist es eine gerichtlich sehr bekannte Konstellation, dass im Nachtdienst und an Feiertagen und Wochenenden die Fachärzte und Fachärztinnen keinen Dienst scheiben und stattdessen das unerfahrenere Assistenzpersonal hierfür heranziehen. Die Empfehlungen der DGGG zur Zusammenarbeit von Geburtshelfern, also Ärzten und Hebammen, regeln klare Facharztindikationslagen, also medizinischen Situationen in denen die Präsenz eines Facharztes oder einer Fachärztin hergestellt werden muss. Versäumnisse in diesem Bereich kommen sehr häufig vor.

Organisationsfehler

Solche Fehler liegen immer vor, wenn insb. in personeller oder medizin- und apparatetechnischer Hinsicht nicht für ausreichende Kapazitäten in der Behandlungseinrichtung vorgesorgt wurde. War etwa der geburtshilfliche Facharzt, der in der Entbindungsnacht Hintergrunddienst hatte, nicht rechtzeitig erreichbar oder vor Ort, wird im Allgemeinen ein solcher Organisationsmangel angenommen. Ein Organisationsmangel wird neben der Abteilungsleitung immer auch dem Klinikträger angelastet werden. Immer dann, wenn ein Assistenzarzt im Einsatz ist und den Hintergrunddienst nicht rechtzeitig herbeischafft, wird also ein solcher Organisationsmangel haftungsrelevant.

In kleineren Kliniken, Belegkliniken und Geburtshäusern sind Organisationsmängel häufig systemimmanent und führen fast ausnahmslos zum Nachweis von Behandlungsfehlern.

Insbesondere im Bereich der sog. horizontalen Arbeitsteilung, wo also Ärzte und Hebammen gleichrangig, aber u.U. zeitlich aufeinanderfolgend handeln, kommt es häufig zu Informationsdefiziten. Insbesondere in der Zeitschiene der Behandlung durch

  • niedergelassenen GynäkologInnen 
  • Einrichtungen der Pränataldiagnostik 
  • ggf. involvierter Beleghebamme
  • der Geburtsklinik
  • Anästhesiologie
  • Neonatologie
  • Kinderklinik

kann es zu fatalen Informationsverlusten mit fatalen Folgen kommen, wenn es um die Führung und korrekte Instruierung der Schwangeren und ihres ungeborenen Kindes geht.

Dokumentationsfehler

Die Behandlungsseite ist aus Gründen des therapeutischen Interesses der Patientin und zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung zur umfassenden Dokumentation verpflichtet. Dokumentationspflichtig sind

  • einzelne diagnostische und therapeutische Maßnahmen
  • Funktionsbefunde
  • Medikation
  • Operative Eingriffe
  • Pflegeanweisungen
  • Abweichungen von Standardbehandlungen
  • therapeutische Erwägungen und Überlegungen zur Behandlungsstrategie
  • Aufklärung
  • Lagerung der Patientin
  • Narkose
  • Reanimation,

um nur einiges zu nennen.

Dokumentationsfehler bzw. -lücken begründen die Vermutung zugunsten der Patientin, dass Maßnahmen unterblieben sind, deren Vornahme mitunter geboten war. Sind eine bestimmte Untersuchung oder Behandlungsmaßnahme nicht dokumentiert, wäre aber notwendig gewesen, so wird vermutet, dass die Untersuchung/Behandlung nicht stattgefunden hat. Die Unterlassung kann dann auch als Behandlungs- oder gar Befunderhebungsfehler gewertet werden.